Bericht über Wilhelmsdorf im Sonntagsblatt vom 17.04.2005

 

 

   
Aktuelle Ausgabe: 16 - vom: 17.04.2005

 

Gute Zuhörer, fleißige Handwerker

In Wilhelmsdorf in Mittelfranken ist bis heute das reformierte Erbe der Ortsgründer spürbar

 

Wilhelmsdorf ist anders. Es ist ein Dorf ohne Bauern, eine Kirchengemeinde, die im Gottesdienst niemals einen Klingelbeutel herumreicht, und es war bis vor kurzem das Weltzentrum der Zirkelproduktion. Der Ort, zwischen Fürth und Neustadt (Aisch) gelegen, ist als hugenottische Neugründung ein Unikum in der historischen Landschaft Bayerns.

Calvinistische Schlichtheit prägt bis heute den Innenraum der (inzwischen lutherischen) Hugenottenkirche von Wilhelmsdorf. Links an der Empore das Hugenottenkreuz.
Foto: Sauerbeck
   Calvinistische Schlichtheit prägt bis heute den Innenraum der (inzwischen lutherischen) Hugenottenkirche von Wilhelmsdorf. Links an der Empore das Hugenottenkreuz.

Für Besuchergruppen hat Wilhelmsdorf einen pragmatischen Vorteil. Denn alle bedeutenden Sehenswürdigkeiten sind nur ein paar Schritte voneinander entfernt: die kleine Hugenottenkirche und das Zirkelmuseum am Hugenottenplatz. Wer nun noch bedenkt, dass das größte öffentliche Gebäude am Platz »Hugenottenhalle« heißt, dem dürfte aufgehen, wem die Wilhelmsdorfer »Franzosen«, wie die Nachbarn sagen, ihre besondere Prägung zu verdanken haben.

Es war anno 1685 und einer jener Momente, in denen sich die Erschütterungen der ganz großen, der europäischen Geschichte bis in die fränkische Provinz fortpflanzten. In Frankreich hatte Ludwig XIV. eben das »Edikt von Nantes« aufgehoben, das den Protestanten seines Landes die freie Religionsausübung zugesichert hatte.

Lebendiges Erbe: Aus der Heimat der Wilhelmsdorfer Hugenotten stammt dieses Grabkreuz einer Nachfahrin des Ortsgründers Jean Bonnet, das Bürgermeister Werner Friedrich, Pfarrer Matthias Simon und Heimatforscher Willi Seibold (von links) stolz vorzeigen.
Foto: Sauerbeck
   Lebendiges Erbe: Aus der Heimat der Wilhelmsdorfer Hugenotten stammt dieses Grabkreuz einer Nachfahrin des Ortsgründers Jean Bonnet, das Bürgermeister Werner Friedrich, Pfarrer Martin Simon und Heimatforscher Willi Seibold (von links) stolz vorzeigen.

Unter denen, die sich lieber in der Fremde ein neues Auskommen suchen wollten, als dem reformierten Glauben abzuschwören, befand sich Pastor Jean Bonnet mit einer Hand voll Familien aus dem Hochgebirgsort Mizoën (Oisans) im Südosten des Landes, heute im Departement »Rhône-Alpes« gelegen. Im Juni 1686 kam er mit 71 Personen in Erlangen an, von wo ihn Markgraf Christian Ernst von Brandenburg-Bayreuth in eine seit dem Dreißigjährigen Krieg wüst liegende Einöde im Albachtal unweit von Emskirchen weiterschickte. Hier gründete Bonnet eine Flüchtlingssiedlung, die er nach dem markgräflichen Erbprinzen Georg Wilhelm »Wilhelmsdorf« benannte.

Es dauerte einige Jahre, bis die Franzosen in der Kargheit des Frankenlandes Fuß gefasst hatten. Aufwärts ging es erst, als die Wilhelmsdorfer auf ihre handwerklichen Talente setzten und sich auf das Strumpfwirkergeschäft verlegten. Den bescheidenen Wohlstand, der sich im Laufe der Jahrzehnte einstellte, symbolisiert der Neubau der Hugenottenkirche im Jahr 1754.

Schlichter Holztisch als Altar

Das Gotteshaus, das seinen Namen erst seit gut fünfzig Jahren trägt, ist das sichtbarste Zeugnis der reformierten Vergangenheit: ein quadratischer, schlichter Betsaal, dessen einstige calvinistische Strenge auch in seiner heutigen, evangelisch-lutherischen Zeit noch spürbar ist. Kein steinerner Altar, sondern ein schlichter Holztisch steht unter der zentral platzierten Kanzel. An der Empore erinnert seit jüngster Zeit ein Hugenottenkreuz an die Frühzeit der Gemeinde. Auch in den Menschen lebt das reformierte Erbe, findet Pfarrer Matthias Simon: »Hier wird bei der Predigt besonders genau hingehört!« Schließlich hatte das Wort bei Calvin einen besonders hohen Stellenwert.

Der Klingelbeutel in der Hugenottenkirche ist fest am Ausgang verankert.
Foto: Sauerbeck
   Der Klingelbeutel in der Hugenottenkirche ist fest am Ausgang verankert.

Damit die Konzentration der Gemeinde auf das gottesdienstliche Geschehen nicht gestört werde, ist das Herumreichen des Klingelbeutels bei den Reformierten verpönt. Und so geben auch die Wilhelmsdorfer Lutheraner bis heute ihr Scherflein am Ausgang, wo Klingelbeutel und Kollektendose nebeneinander stehen.

Ein paar Häuser weiter, im gemeindlichen Zirkelmuseum, ist die andere Seite des reformierten Erbes präsent. Denn in Fleiß und Handwerkgeschick sind die Wilhelmsdorfer ihren Nachbarn bis heute ein gutes Stück voraus - immerhin hat die 1300-köpfige politische Gemeinde rund 500 Arbeitsplätze und damit mehr Ein- als Auspendler. Nach dem Niedergang der Strumpfwirkerei machten die Nachfahren der Hugenotten in Reißzeug, und sie machten es so gut, dass noch in den 1960erJahren jeder dritte Zirkel, der auf dem Globus in Gebrauch war, aus dem Albachtal stammte.

Als auch die Zirkel nicht mehr trugen, verlegte man sich auf die Kunststoffverarbeitung. Und landete wieder an der Weltspitze: Nahezu jeder Mensch, der heute zwischen Sibirien und dem Kap der Guten Hoffnung Kopfhörer mit Schaumstoffeinlagen trägt, spürt an den Ohren den Komfort fränkischer Handwerkspräzision.

Wer genau hinsieht wie Alt-Bürgermeister Willi Seibold, der seit über zwanzig Jahren das verschüttete Bewusstsein der reformierten Vergangenheit wieder ausgräbt, kann sogar in alten Flurkarten und Häuserzuschnitten reformierten Geist erkennen: Die Grundstücke waren jahrhundertelang schmale Streifen, die Tal und Hang, gute und schlechte Böden umfassten. Die Häuser der Reformierten, von denen eine Zeile gegenüber der Kirche erhalten ist, verfügten zum Teil über einen komplizierten und ständig wechselnden Eigentums- und Zimmerzuschnitt. Der konnte einer vielköpfigen Familie schon mal ein Zimmer in einer Nachbarwohnung zugestehen - aus purer Gerechtigkeit. »Das reformierte Grundverständnis war sehr demokratisch und streng am Bedarf orientiert«, hat Seibold festgestellt.

Das Einzige, was bei so viel reformiertem Erbe fehlt, sind die Reformierten selbst. Sie assimilierten sich schon im Laufe des 18. Jahrhunderts an die bald zahlenmäßig überlegene lutherische Ortsgemeinde, die lange formal nach Emskirchen gehörte. Eine Zeit lang wechselten reformierte und lutherische Gottesdienste, 1873 ging die Kirche in lutherischen Besitz über. Der letzte Reformierte von Wilhelmsdorf, Hans Martin, starb 1943, nachdem viele Jahre lang noch allein für ihn viermal im Jahr der reformierte Pfarrer von Erlangen zur Abendmahlsspende angereist war.

Inzwischen bestehen Wilhelmsdorfer Kontakte zur protestantischen Gemeinde von Briançon in der Gegend, aus der die Gründerväter stammten. Dreimal schon musizierten die Wilhelmsdorfer Posaunenbläser auf Marktplätzen und Kirchen im Oisans. »Es schien so«, schreibt Willi Seibold in seiner Chronik, »als seien entfernte Verwandte, die sich gar nicht mehr kennen, dort zusammengetroffen.«

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Stätten protestantischer Geschichte in Bayern

 

 

 

 

INFORMATIONEN

Adressen

  Gemeinde Wilhelmsdorf mit Zirkelmuseum. Hugenottenplatz 8, 91489 Wilhelmsdorf, Tel. (09104) 897814, E-Mail: info@wilhelmsdorf.de, Internet: www.wilhelmsdorf.de und www.weiherwanderweg.de.

  Ev.-Luth. Pfarramt mit Hugenottenkirche, Martin-Luther-Str. 6, 91489 Wilhelmsdorf, Tel. (09104) 699.

  Öffnungszeiten von Zirkelmuseum und Kirche von Mai bis September jeden 1. und 3. Sonntag im Monat von 14 bis 17 Uhr oder n. Vereinbarung., E-Mail: info@zirkelmuseum.de, Internet: www.zirkelmuseum.de.

Literaturtipp

  Seibold, Willi: Kirche aus der Wüste. 250 Jahre Hugenottenkirche Wilhelmsdorf, Emskirchen 2004.

Thomas Greif

 

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Letzte Aktualisierung am 08.05.2005