Tipps zu Aufsätzen 4 9. Jahrgangsstufe 4 Erschließung von Sachtexten 4 Beispiel

 

  Erschließung von Sachtexten - Beispiel
   
  Beispiel und Bild mit freundlicher Genehmigung des Autors aus: von der Heyde Hartmut, Aufsatz 9./10. Klasse, Stark Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Freising 1998, Auflage 2008, Seite 107/108 mit dazugehöriger Lösung von Seite 210 - 213.
   
  Aufgabe: Schreibe zu dem folgenden Text eine vollständige Sachtextanalyse.
     
   

Reinhard Behrend, Werner Paczian:

Raubmord am Regenwald. Vom Kampf gegen das Sterben der Erde

   

 

 

 

 

 
    1    „In der mexikanischen Grenzstadt Che-     tana Roo sind im Besitz so genannter
      tumal, ganz im Süden des Landes an der     „ejidos". „Ejido" ist eine Form von Ge-
      Grenze zu Belize, treffen sich am arbeits-     meinschaftseigentum, bei der Grund und
      freien Samstag rund ein Dutzend Leute   50 Boden dem Staat gehören, aber an eine
    5 aus der Umgebung, Bauern unterschiedli-     Gruppe von Bauern zur Nutzung verteilt
      chen Alters. Sie sind 60 Kilometer und     werden. Diese bewirtschaftet die Fläche
      mehr angereist. Die Anwesenden regeln     in der Regel genossenschaftlich. Zehn
      die Tagesordnung per Zuruf. Nur ein At-     solcher Dorfgemeinschaften, die sich zu
      tribut erinnert in dem schmucklosen Zim-   55 einem rechtlich anerkannten Waldnut-
    10 mer an moderne Konferenztechnik: Eine     zungsverband zusammengeschlossen ha-
      Tafel hält auf einem großen Blatt Papier     ben, teilen sich inzwischen den 200 000
      die Diskussionspunkte, Teilnehmernamen     Hektar großen Wald. Der blüht seitdem
      und Ergebnisse mit bunten Filzstiften     wieder auf, nachdem er lange Jahre unter
      fest.” (1)   60 privatwirtschaftlicher Ausbeutung gelit-
    15    Die Szene spielt im mexikanischen     ten hatte.
      Bundesstaat Quintana Roo auf der Halb-        Heute haben die Bauern mit dem
      insel Yucatan. Dort fördert die bundes-     Hauptabnehmer ihres Holzes vereinbart,
      eigene „Deutsche Gesellschaft für Techni-     dass beim Kauf von Mahagoni gleichzeitig
      sche Zusammenarbeit" (GTZ) ein Projekt,   65 etwa 15 andere Baumarten abgenommen
    20 bei dem einheimische Dorfgemeinschaf-     werden müssen. Damit wird eine einsei-
      ten eine eigenverantwortliche, nachhal-     tige Nutzung der Regenwälder vermieden
      tige Bewirtschaftung einer rund 200 000     und ihr nachhaltiger Bestand gesichert.
      Hektar großen Waldfläche betreiben. Das     „Wir wollen, dass auch unsere Kinder
      Musterprojekt bedient sich eines simplen,   70 und Enkel noch vom Wald leben", for-
    25 aber selten praktizierten Prinzips: Hier     muliert Alfonso Raymondo, ehemaliger
      ernten die Einheimischen - und nicht     Vorsitzender der Dorfgemeinden, das
      mächtige Holzkonzerne - das Holz und     Projektziel. Das unterm Strich positive
      die Profite, welche die forstwirtschaft-     Engagement der GTZ in Mexiko ist bei-
      liche Nutzung bringt. Damit besteht bei   75 leibe keine Selbstverständlichkeit. Vor
    30 den Forstbauern ein ureigenes Interesse,     allem auf Erkenntnisse über die Nach-
      den Regenwald zu erhalten.     haltigkeit und auf die langfristige Wir-
         Ein weiteres Plus des seit 1978 lau-     kung von so genannten Entwicklungs-
      fenden Projekts: Den Betroffenen wird     hilfe-Projekten wird bei diversen bundes-
      die Mündigkeit nicht abgesprochen. Die   80 deutschen Maßnahmen im Ausland kaum
    35 Mexikaner bestimmen selbst die jähr-     oder gar nicht geachtet. „Einer der Gründe
      lichen Fällraten, legen Waldreserven an,     dafür ist auf ein verkürztes Projektver-
      führen die Holzernte durch und sorgen     ständnis zurückzuführen, nach dem der
      für die Erhaltung des Jungwuchses. Auf     Abzug der Experten und die Einstellung
      den regelmäßig stattfindenden Versamm-   85 der finanziellen Mittel das Ende eines
    40 lungen entscheiden die Waldbauern über     Projektes markiert. Entwicklungsprojekte
      die Verwendung der Gewinne: wie viel     haben - das ist eine Binsenweisheit - nur
      wird wieder investiert, wie viel ausge-     Sinn, wenn sie langfristig erfolgreich wir-
      zahlt? Schon beim Weltforstkongress     ken", meint Dr. Reinhard Stockmann, der
      1985 in Mexiko stieß das Pilotprojekt auf-   90 für die Bundesregierung eine Studie zur
    45 internationale Anerkennung.     Nachhaltigkeit angefertigt hat.
         70 Prozent der Waldgebiete in Quin-      
             
    (1) Wilfried Herz, Holz für die Enkel. In: Wirtschaftswoche Nr. 25 vom 16. 6. 89
     
   


Mexikanischer Regenwald

 

    Mögliche Lösung
     
      Einleitung
        Der Textausschnitt aus dem 1990 veröffentlichten Buch Raubmord am Regenwald von Reinhard Behrend und Werner Paczian behandelt das Thema der Entwicklungshilfe. Er stellt ein gelungenes Projekt dar, das zum Bestand des Regenwaldes beiträgt, und erläutert, wie dieser Erfolg möglich geworden ist.
             
      Gliederung
        1. Beispiel: Darstellung eines Ausschnittes aus der Arbeit  eines erfolgreichen Entwicklungshilfeprojekts (Z.1 -14)
        2.

Eine Voraussetzung für das Gelingen: eigenverantwortliche Bewirtschaftung (Z. 15 - 31)

        3. Selbstbestimmung der Planung und Betriebsführung als weitere Voraussetzung (Z. 32 - 45)
        4.

Darstellung einer erfolgreichen Projektorganisation als Beispiel (Z. 46 - 61)

        5.

Die entscheidende Bedeutung langfristigen Denkens bei Entwicklungshilfeprojekten (Z. 62 - 91)

             
      Hauptteil
       

Der Text beginnt mit der Darstellung eines Beispiels, das die Arbeit innerhalb eines erfolgreichen Entwicklungshilfeprojekts in Mexiko vorstellt. Es wird ein Teil einer Konferenz in der Stadt Chetumal beschrieben, zu der Bauern aus umliegenden Ortschaften angereist sind. Ihre aktive Beteiligung an der Diskussion wird im Text veranschaulicht.

        Eine genauere Erklärung folgt erst im zweiten Abschnitt. Dort beschreiben die Verfasser im Einzelnen, wer an dem Entwicklungshilfeprojekt, das hier vorgestellt wird, beteiligt ist und wo es stattfindet. Es handelt sich um eine von der „Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit" (GTZ) geförderte Unternehmung, in der die mexikanischen Dorfgemeinschaften selbstständig die Bewirtschaftung einer 200 000 ha großen Waldfläche übernehmen. Diese Selbstständigkeit hat zur Folge, dass nicht nur die Holzernte von den Dorfgemeinschaften organisiert und durchgeführt wird, sondern dass ihnen auch der Gewinn zukommt. Damit wird wiederum das Interesse der Dorfgemeinschaften geweckt, möglichst langfristig den Regenwald und dessen Nutzungsmöglichkeiten für sich selbst zu erhalten.
        So wird auch die These deutlich, die hinter diesen Ausführungen steckt: Die Verfasser wollen am Beispiel dieses mexikanischen Projekts veranschaulichen, dass für ein gelungenes Entwicklungshilfeprojekt, das zum Fortbestand des Regenwalds beiträgt, die eigenverantwortliche Durchführung der Arbeiten und die Beteiligung der Dorfgemeinschaften am Gewinn wichtige Voraussetzungen sind.
        Der folgende Abschnitt erweitert die Darstellung. Mündigkeit ist die wesentliche Bedingung für das Gelingen der Entwicklungshilfeprojekte - so kann man die These bezeichnen, die über den Ausführungen steht. Die Verfasser erläutern, was mit Mündigkeit gemeint ist. Es geht nicht mehr nur um die Organisation der jeweiligen Ernte, sondern um langfristige Planungen und Entscheidungen, so über das Anlegen von Waldreserven und die Höhe der jährlich für das Fällen zur Verfügung stehenden Holzmengen. Dazu gehören auch Überlegungen wie die, dass ein Teil des Gewinns wieder in das Unternehmen investiert werden muss und dass nicht der ganze Gewinn ausgezahlt werden kann. All dies muss von der Gemeinschaft der Bauern selbst beschlossen und umgesetzt werden - dann können sie als mündig gelten.
        An einem genau beschriebenen Beispiel aus dem mexikanischen Bundesstaat Quintana Roo, in dem das dargestellte Projekt durchgeführt wird, wird aufgezeigt, dass große Waldgebiete inzwischen auf die beschriebene Weise bewirtschaftet werden. Der Erfolg dieser Bemühungen ist die Verbesserung des Regenwaldbestandes, wie im Text festgestellt wird.
        Im letzten Textabschnitt behandeln die Verfasser eine weitere Bedingung für den Erhalt des Regenwaldes: Zunächst wird das Beispiel einer geschäftlichen Vereinbarung zwischen den genossenschaftlichen Holzlieferanten und den Firmen, die Holz ankaufen, dargestellt. Durch eine solche Vereinbarung wird ein einseitiger Ankauf einer bestimmten beliebten Holzart (Mahagoni) ausgeschlossen. Dann wird die Bedeutung der Vereinbarung erklärt: Es soll dadurch eine einseitige Abnutzung des Waldbestandes verhindert werden, sodass sich der Wald auch in Zukunft vielfältig und natürlich entwickeln kann. Zukunftssicherung des Regenwaldes bedeutet zugleich Zukunftssicherung für die beteiligten Menschen und damit einen langfristigen Erfolg des Entwicklungshilfe­projekts - so könnte man die These dieses Abschnitts formulieren.
        Im Gegensatz dazu stellen die Verfasser dann fest, dass ein solcher langfristiger Nutzen oft nicht bedacht wird. Zur Stützung ihrer eigenen These zitieren sie am Schluss des Textes die Aussage eines Entwicklungshilfefachmannes, der ebenfalls darauf hinweist, wie bedeutsam es ist, bei diesen Hilfsprojekten den Gedanken der langfristigen Wirkung zu beachten.
         
      Kritische Beurteilung
       

Die Verfasser des Textes beschreiben ausführlich die Situation eines bestimmten, genau bezeichneten Entwicklungshilfeprojekts und stellen dessen Erfolg dar. Mithilfe von Zahlenangaben wird der Erfolg belegt. Auch Zitate tragen dazu bei: Das vorangestellte Zitat aus einer Wirtschaftsfachzeitung, die der Leser als sachverständig und glaubhaft einschätzen wird, zeigt beispielhaft die eigenverantwortliche Aktivität der einheimischen Bevölkerung, die das Projekt selbstständig verwirklicht. Auch direkt zitierte Aussagen von am Projekt beteiligten Personen dienen der Erklärung und Begründung seines Nutzens. Aus diesen Darstellungen und Beispielen entwickeln die Verfasser ihre Thesen, die die Bedingungen für erfolgreiche Entwicklungshilfemaßnahmen benennen. Diese Bedingungen sind nicht auffällig als Thesen hervorgehoben, weil sie in die Beschreibungen und Erklärungen des Projekts eingebettet sind. Sprachlich erkennbar werden sie allerdings dadurch, dass abstrakte Begriffe wie Selbstverantwortlichkeit und Mündigkeit auftauchen, mit deren Hilfe diese Bedingungen formuliert sind. Die letzte Bedingung des nachhaltigen Wirtschaftens wird zusätzlich dadurch betont, dass sie mit Zitaten sowohl einheimischer als auch deutscher Sachverständiger begründet wird.

        Der Text bezieht sich zur Erläuterung der dargestellten Grundsätze erfolgreicher Entwicklungshilfe auf das Beispiel nur eines Projekts in Mexiko. Dennoch wirkt die Darstellung überzeugend, weil dieses Beispiel genau erklärt und dokumentiert wird. Es erscheint dem Leser verallgemeinerbar und damit übertragbar auf Entwicklungshilfeprojekte überhaupt. Der Leser versteht also, dass die genannten Bedingungen auch als generelle Forderungen an Projekte, die erfolgreich sein wollen, zu betrachten sind. Das Expertenzitat am Textende macht die Verallgemeinerung zusätzlich glaubhaft, weil es den Gedanken der langfristigen Zukunftsplanung ebenfalls auf Hilfsprojekte im Allgemeinen bezieht.
         
      Sprachliche Gestaltung
        Im Text wird eine einfache, gut verständliche Sprache verwendet. Anfangs überwiegen kurze Hauptsätze, vom zweiten Abschnitt an werden die Sätze etwas länger, doch auch die Satzgefüge bleiben gut überschaubar. Besonders komplizierte Fachausdrücke sind nicht vorhanden. Vielmehr werden viele konkrete Ausdrücke zur Beschreibung einzelner Maßnahmen im Rahmen des Projekts verwendet (etwa: „legen Waldreserven an, führen die Holzernte durch", Z. 36 f., „dass beim Kauf von Mahagoni gleichzeitig etwa 15 andere Baumarten abgenommen werden müssen", Z. 64 ff.). Durch diese deutlichen Beschreibungen werden selbst in der Umgangssprache ungebräuchliche Fachausdrücke wie „jährliche Fällraten" gut verständlich. Abstrakte Bezeichnungen tauchen dann auf, wenn die Grundsätze erfolgreicher Projekte dargestellt werden. Dann ist von „eigenverantwortlichem" Handeln oder von „Mündigkeit" die Rede. Zudem wird im Schlussabschnitt die Bedeutung langfristigen Zukunftsdenkens in abstrakten Formulierungen zusammengefasst (Z. 75 ff.).
         
      Schluss
        Der Text beschreibt ein Entwicklungshilfeprojekt zum Schutz des Regenwaldes in Mexiko. Anhand dieses konkreten Beispiels werden Grundsätze aufgezeigt, die für die Verwirklichung erfolgreicher Projekte der Entwicklungshilfe generell gültig sind. Die erläuternde und begründende Darstellung am konkreten Fall macht den Text glaubwürdig und überzeugend. Die darstellende Aussageabsicht steht im Vordergrund, doch tritt eine appellative Intention hinzu: Die hervorgehobenen Grundsätze können als Maßstäbe gelten, nach denen sich die Arbeit anderer Projekte, die ebenso erfolgreich sein wollen, ausrichten muss.